Eine Kulturpolitik für morgen
Dokumentation der Online-Tagung »Eine Kulturpolitik für morgen. Perspektiven und Diskurse junger Kulturakteur_innen« am 29. & 30. Oktober 2020
Derzeit gestalten immer mehr jüngere Akteur_innen und Initiativen das Feld der Kulturpolitik, deren Themen, Arbeits- und Wissensformen den Status Quo hinterfragen und häufig noch zu wenig in den etablierten Institutionen abgebildet werden. Die Veranstaltung »Eine Kulturpolitik für morgen« soll die vielfältige Praxis junger kulturpolitischer Perspektiven schlaglichtartig aufzeigen. Aktuelle Ideen und Expertisen sollen im gemeinsamen Austausch gebündelt werden, um voneinander zu lernen und miteinander Neues zu denken. In einem vorangegangenen Call for ideas konnten Einzelpersonen und Kollektive ihre Ideen und Themen für »Eine Kulturpolitik für morgen« einreichen. Aus 33 vielfältigen Beiträgen wurden sieben ausgewählt, die sich in die Themenbereiche »Diversität«, »Neue Kulturpolitische Expertisen« sowie »Wandel in Institutionen und Verwaltungen« einordnen lassen.
Wir danken allen Referent_innen für die Mitwirkung an der Veranstaltung sowie die Erlaubnis, ihre Inputs aufnehmen zu dürfen. Ein großes Dankeschön geht an Eyla Hasse für die Videobearbeitung.
Eine Veranstaltung der Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel.
Hellen P. Gross & Eva-Maria Kaempffe, Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes
Welche Organisationspraktiken führen zu Ungleichheit in deutschen Kulturbetrieben und wie wird Ungleichheit durch diese Praktiken reproduziert? Warum sind diese Reproduktionsmechanismen in deutschen Kulturbetrieben beständig und weit verbreitet? Im Beitrag sollen Gründe und Hemmnisse für erfolgreiche Diversitätsprozesse dargestellt, hinterfragt und anhand von Beispielen praxisnah diskutiert werden.
Türkân Deniz-Roggenbuck, Kulturton & Mamadou Uwe Teuw Diedhiou, Schwarze Schafe
Wie werden Vielfalt und der diversitätsorientierte Diskurs innerhalb der Kulturpolitik sichtbar? Wie können systemrelevante Themen, die sich aktuell politisieren und verschärfen, in eine Plattform des Austauschs, des Dialogs und des Zuhörens getragen werden? Wessen Stimmen wird dabei Beachtung geschenkt? Wie können und sollen Kultur, Politik und Kulturpolitik neu gedacht werden? Im Beitrag sollen Diversifizierungsprozesse in der Gesellschaft und ihren Kultureinrichtungen beleuchtet werden. Anhand der Auseinandersetzung mit einigen Good Practice bzw. dem sogenannten Fail Better soll aufgezeigt werden, dass Begegnungen auf Augenhöhe möglich sind.
Isabella Wehdanner, Nationaltheater Mannheim & Jessica Weisskirchen, Regisseurin und Vertreterin des Assistierenden-Netzwerks
Als künftiger Teil des Ensemble-Netzwerks will das Theaterassistent*innen-Netzwerk Theater als soziale, solidarische, nicht-diskriminierende, faire Wirkstätte für alle Mitarbeitenden denken und bietet ein Forum zur Vernetzung zwischen den Assistierenden. Welche Strategien lassen sich entwickeln, um die Assistenzzeit als Ausbildungszeit zu etablieren? Welche Formate und Plattformen eignen sich, um Nachwuchskünstler_innen sichtbar zu machen? Wie lassen sich gleichzeitig schützende Rahmenbedingungen denken, in denen sich Assistierende ausprobieren können? Welche Unterstützung kann unterschiedlich situierten Wissenshintergründen gerecht werden und so die Diversität innerhalb des künstlerischen Nachwuchses fördern?
Katharina Wolfrum, Theaterbüro München & Christian Steinau, Ludwig-Maximilians-Universität München
Bereits 2002 konstatierte Bernd Wagner der Nachhaltigkeitsdebatte »ein chronisches kulturelles Defizit«. Mehr denn je stellt sich heute die Frage, wie der notwendigen ökologischen und ökonomischen Wende der Industriegesellschaft mit einem tiefgreifenden kulturellen Wandel begegnet werden kann. Ein Cultural Green Deal verbindet Kulturpolitik mit dem Zukunftsthema Nachhaltigkeit. Als vierte Säule der Nachhaltigkeit kann die Kultur (neben Ökologie, Ökonomie und Soziales) einen entscheidenden Beitrag zur Erreichung der 2015 beschlossenen Sustainable Development Goals (SDG) leisten. Eine zentrale Frage lautet dabei, wie der Kulturbetrieb einen Beitrag zur Jahrhundertaufgabe der Überwindung des fossilen Zeitalters leisten kann – ohne dabei an künstlerischer Freiheit einzubüßen.
Michael Annoff & Nuray Demir, Kein schöner Archiv
Jahrzehntelang verzögerten die Institutionen der Dominanzkultur die Anerkennung der Bundesrepublik als Einwanderungsgesellschaft, auch im Kulturbereich. Immaterielles Erbe konstituiert sich ausschließlich in abstrakten Formaten wie Jurysitzungen, Festakten und UNESCO-Listen. Das könnte aber viel kollaborativer gestaltet werden. Immaterielles Erbe ist als Instrument internationaler Kulturpolitik auch ein dekoloniales Projekt, das der eurozentristischen Dominanz materieller Kultur entgegengesetzt werden sollte. Selbstbestimmte postmigrantische Kulturarbeit konnte sich anfangs immer nur durch informelle kulturelle Politiken und instituierende Praktiken etablieren. An diese kulturpolitische Herausforderung knüpft das Projekt an: Seit 2018 erforscht Kein schöner Archiv kulturelle Praktiken der postmigrantischen Gesellschaft und dokumentiert sie auf performativen Versammlungen.
Daniel Deppe, Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa
Wie kann ein neuer partnerschaftlicher Ansatz für die Zuwendungspraxis im Kulturbereich aussehen? Wie kann ein neues, modernes Zuwendungsrecht für den Kulturbereich aussehen, das mehr Flexibilität für Künstler_innen und Kultureinrichtungen, aber auch die notwendige Sicherheit für die öffentliche Hand ermöglicht? Schon vor der Krise zeigte sich, dass in der bestehenden Zuwendungspraxis im Kulturbereich Innovationen und ergebnisoffene Projekte kaum förderfähig sind. Herausforderungen wie die Digitalisierung oder die Bewältigung der Klimakrise erfordern jedoch einen neuen innovationsfördernden Umgang mit Zuwendungen. Der Beitrag fragt, wie die in der Corona-Krise neu gewonnene Zuwendungspraxis in eine Post-Corona-Zeit transferiert werden könnte.
Christopher Vila, Netzwerk #AgileKultur & Jasmin Vogel, Vorstand Kulturforum Witten
Bei vielen ist inzwischen angekommen, dass es Veränderungen braucht, wenn Kultureinrichtungen in dieser sich rasant verändernden Gesellschaft künftig noch eine relevante Rolle spielen sollen. Viele Einrichtungen haben sich auf den Weg gemacht, experimentieren mit neuen Formaten und öffnen sich dem Publikum. Der umfassende Wandel aber gelingt bisher nur sehr wenigen. Haltungen, Arbeitskulturen, -weisen und -strukturen werden nach wie vor nicht ausreichend in den Blick genommen. Dazu tragen häufig auch die veralteten Leitbilder der Kulturpolitik bei. Im Beitrag soll aufgezeigt werden, wieso der Wandel in den Kulturinstitutionen beginnen muss und welche Werkzeuge und Methoden hierfür geeignet sind.