Wie politisch sollten Kunst und Kultur sein?
Die Frage, wie politisch Kunst und Kultur sein sollten, hat zurzeit Konjunktur. Traditionellerweise lassen sich die Akteur_innen aus dem Feld der Kunst in dieser Angelegenheit nicht hereinreden und genau dies macht ihre potentielle Stärke aus: Politische Stellungnahmen aus der Kunst haben insbesondere deshalb gesellschaftliche Durchschlagkraft, weil sich Kunst im demokratischen Kontext nichts vorschreiben lässt. Es ist mir aber vielleicht gestattet darüber zu sprechen, was Kunst in politischer Hinsicht ausrichten könnte.
Ein berühmtes Diktum des Dramaturgen Heiner Müller besagt, es sei die Funktion der Kunst, die Wirklichkeit unmöglich zu machen. Darin steckt die Vorstellung, dass Kunst, in diesem Falle Theater, Wirklichkeit negiert und alternative Sichtweisen entwickelt. Die gesellschaftliche Stellung, die sich die Künstler_innen in den letzten Jahrhunderten erkämpft haben, gibt ihnen einen gewissen – ökonomische Abhängigkeiten mitgedacht - autonomen Spielraum, innerhalb dessen Utopien oder alternative Gesellschaftsmodelle formuliert werden können. Negieren bedeutet für mich aber in erster Linie kritisieren und Demokratie braucht Kritik. Anders als autoritäre Politikmodelle, deren Protagonist_innen sich zu allererst um die Ruhigstellung von Intellektuellen, Künstler_innen und kritischen Journalist_innen bemühen, ist Demokratie ein zukunfts- und diskursorientiertes politisches Systemmodell, das sich auf Grundlage von Kritik und Auseinandersetzung konstruktiv weiterentwickelt. Aus diesem Grund benötigt Demokratie in schwierigen Zeiten auch kritische und korrektive Stimmen aus der Kultur: Künstler_innen, die Vertreter_innen von Kultureinrichtungen, Kulturpolitiker_innen und freie Akteur_innen.
Vor zwei Jahren hatte der mittlerweile verstorbene Direktor des Londoner Viktoria & Albert Museums, Martin Roth, eine heftige Diskussion durch einen Beitrag in der ZEIT ausgelöst, als er den Vertreter_innen der Kulturinstitutionen unterstellte, sie ‚duckten sich weg‘ in Zeiten der Re-Nationalisierung und des Anwachsens von xenophobischem Hass. Infolge haben sich viele Akteur_innen aus Kunst und Kultur neu positioniert und diskutieren miteinander Fragen der politischen Positionierung, der Dekolonisierung oder der Öffnung der Häuser in die Städte. Interessant an dem Betrag war u.a., dass Roth das Widerständige akzentuierte, das den Sammlungen der Museen oder den Repertoires der Theater seit der Zeit der Aufklärung innewohnt. Dieser Perspektivwechsel weg von den Akteur_innen, hin zu den Institutionen ist für die politische Bildung aus zwei Gründen besonders interessant: Zum einen steckt darin die These, dass den »Kulturgegenständen« eine (gesellschafts-)politische Aussage innewohnt. Hier kann Kulturelle Bildung Anknüpfungspunkte für eine auch politisch relevante Auseinandersetzung mit Kulturprodukten finden und kritisch diskutieren. Das ist auch einer der Gründe, warum politische und kulturelle Bildung so gut Hand in Hand arbeiten können. Zum anderen ist für die politische Bildung die Frage nach den Institutionen deshalb wertvoll, weil ihnen in unserem Bildungsfeld die Rolle zukommt, gesellschaftliche Erfahrungen und gesellschaftliches Wollen zu repräsentieren.
Wenn von Repräsentationsdefiziten im politischen System die Rede ist, geht es meist auch darum, dass sich Menschengruppen von Institutionen nicht vertreten fühlen, z.B. im Hinblick auf ihre Interessen oder Ihre Zugehörigkeiten und Identitäten. Deshalb diskutieren Kultureinrichtungen heute auch über die Wege, wie man unterrepräsentierten Gruppen Zugänge zu Angeboten, aber auch zu Positionen innerhalb der Institutionen öffnet. Repräsentation hat aber auch eine wesentliche symbolische Funktion: Das Vertrauen, dass die Institutionen und ihre Vertreter_innen die Dinge in unserem Sinne regeln, ist für die Legitimierung von Demokratie fundamental. Dazu gehört auch, dass sich Kultureinrichtungen vergegenwärtigen, dass sie nicht nur Kulturprodukte, sondern auch damit verbundene Haltungen und Gefühle »verwalten«. Die Macht, die Kulturinstitutionen innewohnt, ist in politischer Hinsicht nicht zu unterschätzen. Sie sollten sich schon deshalb öffentlicher Kritik aussetzen, weil es in der Regel meist (noch) keine den Institutionen inhärenten Regulative gibt.
Wie politisch Kunst und auch Ästhetik sein können, ohne dass Menschen als politische Akteur_innen in Erscheinung treten, zeigt sich überall dort, wo uns Kunst in Form von Gestaltung gegenübertritt. Das wird gerade in Erwartung des 100. Jubiläums des Bauhauses wieder verstärkt zum Thema. Neben den unbestrittenen Freiheitspotenzialen der Kunst wird nämlich der Aspekt sichtbar, dass gestaltete Umwelt – und unsere Umwelt ist gänzlich gestaltet – auch zwingende und disziplinierende Dimensionen hat. Beispielsweise lenkt uns jede bauliche Struktur in Bahnen und gibt uns Funktionen vor. Würde man einem Vorschlag des Stadtplaners Daniel Fuhrhop folgen und Wohnkomplexe bauen, in denen Menschen zwar Privaträume haben, sich aber Küchen, Spiel- und Wohnräume teilen*, würde im Verhältnis von Öffentlichkeit versus Privatheit einiges völlig anders. Heute sind Städte meist im Gegensatz zu den bürgerlichen Städten des 19. Jahrhunderts entlang der Bedürfnisse der Ökonomie und Kulturökonomie gestaltet und bieten wenig Raum für öffentliche Artikulation. Auch dies könnte Thema kritischer kultureller und politischer Bildung sein.
Künstler_innen und Kulturproduzent_innen aus den Ländern des globalen Westens hatten seit der Mitte des letzten Jahrhunderts freie und geschützte Räume. In der nahen Zukunft wird dies möglicherweise nicht mehr uneingeschränkt vorausgesetzt werden können. Dass Kunst »politischer« wird, wenn die Freiheitsrechte – auch die von Menschen außerhalb des Kunstfeldes - auf dem Spiel stehen, war in den letzten Jahren schon deutlich spürbar. In Zeiten, in denen wieder Mauern gebaut und Grenzzäune errichtet werden, können die vielfältigen transnationalen Beziehungen von Kulturproduzent_innen und Kultureinrichtungen sehr wichtig sein und neue Öffentlichkeiten herstellen. Wo Unterstützung durch Politik und Regierungen schwindet, kann Support durch transnationale Partner und Publika wertvoll werden. Für die Demokratie in Europa und auch darüber hinaus ist es fundamental, dass sich ein System postnationaler Strukturen im Feld von Kunst und Kultur weiter etabliert und festigt, denn solche Strukturen sind mit den hergebrachten Mitteln der Abschließung von Gesellschaften nur schwer zu gefährden.
*Daniel Fuhrhop: Verbietet das Bauen! Eine Streitschrift, München 2015
Ein Gastbeitrag von Thomas Krüger
Thomas Krüger ist seit 2000 Präsident der Bundeszentrale für politischen Bildung. Seit 1995 ist er Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes. Außerdem ist er zweiter stellvertretender Vorsitzender der Kommission für Jugendmedienschutz und Mitglied des Kuratoriums für den Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten. 1991 bis 1994 war er Senator für Jugend und Familie in Berlin, 1994 bis 1998 Mitglied des Deutschen Bundestages.
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