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»Helmi News«

Die performative Zeitung der Zukunft

Lieber Marc, Ende April hat der Kurs »Helmi News Die performative Zeitung der Zukunft« mit Florian Loycke stattgefunden. Du hast als Programmleiter Darstellende Künste den Dozenten zum ersten Mal ans Haus geholt und warst auch als Teilnehmer dabei. Um was ging es genau?
Die Berliner Puppen-Performance-Gruppe DAS HELMI, deren Gründungsmitglied Florian Loycke ist, ist das schrägste Kollektiv auf dem Feld des zeitgenössischen Puppentheaters, das ich kenne. DAS HELMI sind poetische Punks oder anders herum, punkige Poeten, die das Unzulängliche, Liebenswert-Allzumenschliche feiern und die Poesie des Alltäglichen. Und die sich stark mit dem Leistungs-, Erfolgs- und Effizienz-Fetisch unserer Kultur auseinandersetzen, mit dem Widerstand dagegen, mit Entschleunigung. Im Workshop ging es darum, in diesem Geiste Puppen zu kreieren, die von realen Vorbildern inspiriert sind, aber natürlich auch eigene Anteile haben. Mit diesen Figuren als Alter Egos ging es raus in die Stadt, um unsere Umgebung einmal mit anderen Augen zu sehen und die Poesie des Alltags zu entdecken. Die Idee dahinter ist die einer Zeitung. Zeitung aber nicht unbedingt im engeren Sinne verstanden als periodisches Druckerzeugnis, sondern allgemeiner, wie noch im 18. Jahrhundert, als Nachricht. Insofern waren wir mit unseren Puppen Zeitungs-Redakteure, die die Wirklichkeit aus ungewohnten Blickwinkeln betrachtet vermittelten. Die Zeitung der Zukunft eben.

Auf dem Foto seid ihr mit euren Puppen Alter Egos abgebildet. Es sieht nach sehr viel Fantasie und Spaß aus. Stimmt´s?
Unbedingt! Der ganze Workshop hatte einen starken Werkstatt-Charakter. Alles hat gewerkelt und getüftelt und es gab viel Austausch untereinander über die jeweiligen Vorbilder, die Pate/Patin für die Puppen standen. Währenddessen ist Florian zwischen den Teilnehmenden und ihren Puppen-Werkstätten hin und her gelaufen um Tipps zu geben, kleine Sachen gemeinsam auszuprobieren und hier und da helfend selbst Hand anzulegen. Nach kürzester Zeit waren wir bis zu den Ohren versunken in Schaumstoff, Federn, Stoffen, Klebepistolen, Pailletten und allem möglichen bunten Zeugs. Nachdem wir dann mit unseren Puppen die Stadt unsicher gemacht hatten, kamen wir am Abend des zweiten Tages zu einer gemeinsamen Performance zusammen, in der wir eben von dem, was wir beobachtet hatten, berichteten. Das war ein Fest für und mit Menschen und Puppen!

Eine »temporäre Lokalredaktion« würde man auf den ersten Blick nicht unbedingt dem Programmbereich Darstellende Künste zuordnen. Verändert sich der Bereich hin zu mehr performativen Elementen und Angeboten? Und wenn ja, warum?
Ich glaube nicht an Kunst in Elfenbeintürmen. Schon an der Hochschule der Künste Bern, wo ich mein erstes Studium absolviert hatte, war das Motto »life is art and art is life«. An der Uni Hildesheim, wo ich danach Kulturwissenschaften studiert habe, wurde ebenfalls ein sehr transdisziplinärer Ansatz vertreten. Das hat mich geprägt. Die Idee einer reinen Lehre der Kunst, die Vorstellung von virtuosen Künstler_innen-Genies, das sind obsolete Kunst-Begriffe. Handwerk ist auch eine Frage des Blickwinkels. Oft finde ich Neugier und Wagemut wichtiger. Die tastend-suchende, unsichere Unzulänglichkeit im performativen Tun kann unter Umständen künstlerisch mehr über uns erzählen als Virtuosität in der Darstellung, denke ich. Repräsentation ist nach der »performativen Wende« der 60er Jahre nur noch eine mögliche Funktion von Theater, der sogenannte »Kanon« des (westeuropäischen/deutschen) Literaturtheaters ist nach der begrüßenswerten Diversifizierung der Gesellschaft – zugegeben etwas überspitzt formuliert – nurmehr »special Interest«. Insofern möchte ich grundsätzlich über den Begriff »Darstellende Künste« nachdenken, denn es wird gar nicht mehr unbedingt dargestellt (die Performance z.B. ist reale Intervention) und wenn, dann hat sich der Möglichkeitsraum des Darzustellenden stark erweitert. Kunst, Alltag und Politik, verschiedene Wissens- und Wahrnehmungskulturen beziehen sich aufeinander, beeinflussen sich gegenseitig. Und dabei geht es immer wieder gerade nicht darum, die handwerkliche Virtuosität des eigenen Kunstschaffens im immer weitere Höhen zu treiben (außer man macht Kunsthandwerk), sondern im Gegenteil darum, etwas Neues zu wagen, neue Verbindungen zwischen Kunst und Leben zu knüpfen, den Weg der Unsicherheit zu gehen. Insofern ist Kunst wie Schwimmenlernen: es auszuhalten und irgendwann vielleicht auch zu mögen, dass man schwimmt. Kunst, die das nicht in Betracht zieht, verliert meiner Meinung nach an Relevanz, erzählt uns eher etwas im musealen Sinne. Hier ist eine Institution wie die Bundesakademie auf der Höhe des Diskurses und macht lustvolle und mutige Angebote, die die Wahrnehmung erweitern und über den eigenen Tellerrand schauen helfen.

 

 

 

 

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