An der Schnittstelle
Mitte November hat das neue Projekt »Wissenstransfer in der Kulturellen Bildung« begonnen.Ein Interview mit unseren beiden neuen Kolleg_innen, die sowohl die Praxis, als auch die Theorie lieben.
ba: Frau Hartmann, Sie haben u.a. Darstellendes Spiel an der HBK Braunschweig studiert und waren dann sowohl an der HBK als auch am Staatstheater Braunschweig tätig, wo Sie z.B. das Projekt »Theater in die Schule« betreut haben. Was ist aus der Theaterperspektive das Besondere am Wissenstransfer?
Anne Hartmann: Mich hat schon im Studium sowohl die praktische theaterpädagogische Arbeit als auch die wissenschaftliche Arbeit interessiert. Durch meine Tätigkeit als Theaterpädagogin habe ich viel praktische Erfahrung sammeln können und gemerkt, wie wenig Zeit für Austausch, Reflexion und Weiterbildung im Praxis- und Projektalltag bleibt. In der Zeit habe ich selbst auch wenig Tagungen besucht oder mich mit theoretischen Themen auseinandergesetzt. Das hat mir irgendwann gefehlt und ich bin zurück an die Universität gegangen.
Durch die Arbeit im Forschungsprojekt, in dem wir tanz- und theaterpädagogische Projekte beforscht haben, konnte ich mit einem Außenblick auf die Praxis blicken, aber auch meine praktischen Erfahrungen einfließen lassen.
Genau diese Arbeit an der Schnittstelle, also zwischen Praxis und Theorie, macht mir total Spaß. Und genau da sehe ich auch das Besondere am Wissenstransfer, nämlich Theorie und Praxis in ein enges und produktives Verhältnis zu setzen, durch wechselseitige Reflexion, Austausch und Kritik. Insbesondere das Wissen der Praxis in der Forschung stark zu machen und gleichzeitig auch die Praxis für Erkenntnisse der Forschung und theoretische Perspektiven zu sensibilisieren, erachte ich als eine wichtige Aufgabe des Wissenstransfers.
Dafür braucht es natürlich Zeit, Räume und Formate. Genau das bietet die Bundesakademie ja schon und mit unserem Projekt setzen wir da an und wollen gemeinsam mit den Akteur_innen aus Praxis und Forschung Fragen und Bedarfen des Wissenstransfers nachgehen und dafür geeignete Formate des gemeinsamen Denkens, Austauschens und Reflektierens entwickeln.
ba: Herr Scheuer, Sie sind Musiker und Instrumentalpädagoge und haben Ihr Studium mit einem Master-Forschungsprojekt zum Thema »Subjektorientierung in der Instrumentalpädagogik« abgeschlossen. Wie sind Sie zum Wissenstransfer gekommen?
Julian Scheuer: Ich bin mit der Erwartung in das Studium der Kulturwissenschaften in Hildesheim gegangen, meinen zunächst eher praktischen Schwerpunkt als Musiker zu erweitern. Angesichts des Theorie-Praxis-Modells befindet man sich dort stets mit einem Bein in Seminaren und mit dem anderen in irgendeinem Praxisprojekt. So ist aus mir eine Art »Theorie-Praxis-Hybrid« geworden. Damit ist kein vollkommener Endzustand gemeint. Vielmehr sehe ich darin eine langfristige Selbstverpflichtung zur kontinuierlichen Selbstreflexion und Selbstprofessionalisierung.
Die Bedeutung eines wechselseitigen Transfers zwischen Wissenschaft und Praxis wurde mir im Rahmen eines Praktikums in der Education-Abteilung der Elbphilharmonie in Hamburg und der Bachelorarbeit besonders bewusst. Ich habe mich mit der neuen Rollenerwartung an das Konzerthaus beschäftigt, umfassend und für alle als Akteur Kultureller Bildung zu fungieren. Das ist ein bedeutender, hoch ambitionierter gesellschaftlicher Auftrag. Ich hatte den Eindruck, dass er nur erfüllt werden kann, wenn beide Seiten intensiv zusammenarbeiten und Wissenschaft und Praxis ein lebhaftes Kontinuum bilden.
Im Rahmen des Masterstudiums der Kulturvermittlung in Hildesheim bin ich diesem »Zweibahnstraßen-Prinzip« dann weiter nachgegangen. Ich habe mich im Rahmen des Master-Forschungsprojekts mit dem Thema »Subjektorientierung in der Instrumentalpädagogik« beschäftigt. Im Mittelpunkt standen die Lehrenden selbst und die Erwartung an sie, als Ermöglichende von Selbstbildungsprozessen zu fungieren. Ich habe nicht nur danach gefragt, inwiefern sich dieser theoretische Anspruch in die eine Richtung übersetzt. Vielmehr erschien es mir wichtig, die Lehrenden nicht nur als Umsetzende zu begreifen, sondern vielmehr in ihrer Rolle als Verbindungspersonen in den Mittelpunkt zu stellen. Schließlich sind sie maßgeblich für das Zusammenwirken von Theorie und Praxis verantwortlich. Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass von ihnen insbesondere auch wertvolle Expertenbeiträge zur Forschung und damit zur Theorieentwicklung erwartet werden können.
An diese Erfahrungen aus dem Master-Forschungsprojekt knüpfe ich nun an der Bundesakademie Wolfenbüttel an. Ich freue mich, an der Entwicklung und Erprobung von 5 konkreten Formaten des Wissenstransfers beteiligt zu sein, um darüber Menschen zusammen zu bringen und eine gemeinschaftliche Gestaltung und Weiterentwicklung von Theorie und Praxis der Kulturellen Bildung mit zu ermöglichen.
ba: Frau Hartmann, ein großer Teil Ihrer zukünftigen Arbeit wird die Konzeptionierung und Durchführung von Veranstaltungen zum Thema Wissenstransfer sein. Welche Zielgruppe wird dort angesprochen und welche Formate können wir uns vorstellen?
Anne Hartmann: Angesprochen sind sowohl Wissenschaftler_innen, die in der Kulturellen Bildung forschen als auch Praktiker_innen, die ihre praktische Vermittlungsarbeit weiterentwickeln wollen. Darüber hinaus zielen die Veranstaltungen auf die Förderung und Vernetzung von Nachwuchswissenschaftler_innen und Akteur_innen, die an der Schnittstelle beider Felder arbeiten sowie Studierende im Feld der Kulturellen Bildung. Es geht um einen wechselseitigen Transfer von Forschungserkenntnissen und Praxiswissen in einem kollegialen dialogischen und reflexiven Prozess der kritischen Auseinandersetzung und des fachlichen Austauschs. Daher entwickeln wir vor allem Seminar- und Workshopformate, z. B. der kollegialen Beratung zwischen Praktiker_innen und Wissenschaftler_innen oder Mentoring-Formate insbesondere für die Akteur_innen, die sowohl in der Praxis als auch in der Forschung arbeiten.
Darüber hinaus wird es auch Tagungsformate für eine breitere Zielgruppe geben, z. B. um aktuelle Forschungsprojekte vorzustellen und zu diskutieren oder auch zu Querschnittsthemen, die in Praxis und Forschung virulent sind.
ba: Sie promovieren gerade zu künstlerisch-pädagogischen Selbstverständnissen von Projektleitenden der Theaterpädagogik. Können Sie kurz erklären, worum es dabei geht?
Anne Hartmann: Ich habe für dreieinhalb Jahre in dem Forschungsprojekt »transform - Transformative Bildungsprozesse in performativen Projekten« gearbeitet. Das war ein Forschungsverbund zwischen der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig und der Universität Potsdam in einem interdisziplinären Team mit Forschenden aus der Erziehungswissenschaft, der Theaterpädagogik sowie der Musik- und Tanzwissenschaft. Darin haben wir unterschiedliche Tanz-, Theater- und Performanceprojekte der Kulturellen Bildung qualitativ-empirisch beforscht. D. h. wir haben sowohl mit den Teilnehmenden der Projekte als auch mit den Projektleitenden Interviews geführt und z. T. Proben beobachtet. In diesem Forschungsprojekt wurden die Bildungsprozesse von Teilnehmenden sowie die künstlerisch-pädagogischen Selbstverständnisse der Anleitenden qualitativ-empirisch untersucht. Letztere Forschungsperspektive ist Gegenstand meines laufenden Promotionsvorhabens und wird in diesem Rahmen über das Projekt hinaus weiterentwickelt.
Dabei geht es vor allem darum zu rekonstruieren, wie Projektleitende der Theaterpädagogik ihr künstlerisch-pädagogisches Handeln beschreiben und reflektieren, also was für sie handlungsleitend ist. Aber auch was für Herausforderungen und Problemlagen sie beschreiben und wie sie damit umgehen. In meiner Promotion beschäftige ich mich vor allem mit den Orientierungen der Akteur_innen und damit auch mit Fragen nach der eigenen Profession sowie Diskursen und Ansprüchen, die das Praxisfeld durchziehen. In unserer Forschung ging es insbesondere auch darumdie Komplexität der Praxis und wie künstlerisch-pädagogische Praxis sich vollzieht und in den Projekten konkret stattfindet in den Blick zu nehmen. Das »alles« durch die Forschung sichtbar und reflektierbar zu machen, ist schon ein Ergebnis und schafft Räume für Diskussion und (Selbst-)Reflexion. Dafür braucht es aber auch Formate und das ist ja ein zentrales Anliegen meiner neuen Aufgabe. Ich freue mich darauf, daran weiter- und mitzudenken.
ba: Herr Scheuer, Sie haben gerade erzählt, dass Sie Musik studiert haben. Sind Sie zurzeit als Musiker aktiv?
Julian Scheuer: Als Musiker ist man eigentlich nie musikalisch inaktiv, da müsste man sich schon sehr anstrengen. Gemeinsames Musizieren mit anderen ist für mich allerdings angesichts der jetzigen Corona-Situation leider kaum möglich. Doch auch jenseits des instrumentalen Musizierens gibt es immer einen Anlass für Musik, selbst wenn sich diese nur im Kopf abspielt. Für mich persönlich ist diese instrumentale Pause in Ordnung, da es hier an der Bundesakademie mit dem Start unseres Projekts jede Menge Neues zu entdecken gibt. Angesichts der derzeitigen Situation bin ich jedoch über die Zukunft des Kulturbetriebs sehr besorgt. Ich habe in Hamburg zuletzt zusammen mit mehreren Kantor_innen Kirchenmusik gemacht (Trompete + Orgel und Projekte mit Chor und Orchester) und mit einer Konzertpianistin im Duo musiziert. Zuletzt war am Martinstag ein Kinderkonzert in der Innenstadt geplant, das aber ausfiel. Immerhin kann ich Positives aus dem Gästehaus der Bundesakademie berichten. Das Theaterdach eignet sich nicht nur angesichts seiner Akustik sehr gut zum Trompete üben. Regelmäßige Pausen sind bei diesem Instrument sehr wichtig, um die Lippenmuskulatur im richtigen Rahmen zu beanspruchen. Dabei hilft der wunderbare Ausblick über Wolfenbüttel und Richtung Schloss sehr. Ich habe auch schon einen Samstagsangler am Mühlenteich beobachtet. Somit halte ich mich so gut es geht warm und wünsche anderen Musiker_innen und mir für das Jahr 2021, dass das musikalische Leben so schnell wie nur möglich und in ganz neuen Dimensionen wieder Fahrt aufnimmt.
ba: Frau Hartmann, sie sind in Stiege im Harz aufgewachsen und pendeln jetzt zwischen Wolfenbüttel und Hamburg. Fühlt es sich gerade wie »Back to the roots« an?
Anne Hartmann: Für mich fühlt es sich gerade mehr danach an, wieder zurück nach Braunschweig zu kommen. Ich habe 14 Jahre dort gelebt und ich bin erst vor einem Jahr nach Hamburg gezogen. Ich fühle mich beiden Städten sehr verbunden und finde daher das Pendeln auch ganz angenehm.
Aber es ist tatsächlich schön wieder regelmäßig näher an dem zu Hause meiner Kindheit zu sein und die Möglichkeit zu haben, statt in den Zug Richtung Hamburg einfach weiter in den Harz zu fahren. Ich bin sehr gern im Harz und habe z. B. die erste Lockdown-Zeit im März vor allem auch dort verbracht. Das war toll einfach rausgehen zu können in den Wald und viel an der frischen Luft zu sein. Als Jugendliche konnte ich das natürlich nicht so wertschätzen und wollte nach dem Abi raus aus den dörflichen Strukturen. Die Wege ins Theater, zu soziokulturellen Zentren und Clubs waren weit, man war eigentlich immer aufs Auto angewiesen und die Eltern.
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